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Sardar

Portrait Sardar

Mein Name ist Sardar. Ich bin zwölf Jahre alt. Wir kommen aus Kunduz. Mein Vater und meine Mutter sind im Krieg gestorben. Das ist vor zwei Jahren passiert, also als ich zehn Jahre alt war.

An jenem Tag, als es mir passiert ist, habe ich das Vieh meines Großvaters auf den Weiden grasen lassen, die zur Wüste hin liegen. Wir sind jeden Tag in diese Gegend gegangen. An jenem Tag bin ich unglücklicherweise auf eine Mine getreten.

Als die Mine explodierte, habe ich es erst gar nicht begriffen.

Es war ein kalter und regnerischer Tag, der 15. Tag des Ramadan. Ich war mit meinem Cousin unterwegs. Wir weideten die Ziegen an einem der Berghänge. Ich kam den Berg herunter und ging zu meinem Vieh. Ich wollte es von der Weide leiten und nach Hause treiben. Zwischen den Bergen ist eine Schlucht, ein Tal. Und in der Nähe des Tales gibt es Schützengräben. Eine meiner Ziegen ging in diese Stellungen hinein. Dort liegt viel altes Metall, Eisen und Schrott. Ich lief hinter ihr her, denn ich wollte sie wieder zu den anderen Ziegen treiben. Ich ging den Weg entlang und zu ihr hinauf.

Dann habe ich den Schritt gemacht. Ich habe den Schritt gemacht, es gab einen Knall … Ich habe in diesem Moment nicht verstanden, was passiert war. Dann wurde ich in die Luft geschleudert. Ich lag auf dem Boden und schaute mich um. Als ich aufstehen wollte, fiel ich gleich wieder hin.

Ich habe sofort den Sohn meiner Tante gerufen, der in der Nähe war. Er fragte: "Was ist passiert?" Ich rief: "Pass auf, dass du nicht auch in die Luft geschleudert wirst." Dann sagte ich: "Komm, verbinde meinen Fuß!" Zuerst ist das Blut ja warm und man spürt kaum, wenn es austritt. Irgendwann wird man dann ohnmächtig. Du musst flink sein und deinen Fuß verbinden, damit kein Blut austritt - kannst du dir das vorstellen? Wenn du das nicht machst, wenn du nur schreist und wenn du vor lauter Schreck nichts tun kannst und nur Angst hast … Ich habe eine Menge Leute gesehen, die die Mine weggeschleudert hat, sie schrien nur und verbanden sich nicht den Fuß. Und dann verbluteten sie.

Also hat er meinen Fuß verbunden, und ich sagte: "Nimm mich auf den Rücken!" Und er nahm mich auf den Rücken und trug mich ein Stück den Berg herab. Er achtete dabei nicht mehr auf das Vieh. Aber seine Kraft reichte nicht aus, mich zur Straße zu bringen, er musste mich absetzen. Die Hälfte des Wegs hatten wir da geschafft, dann konnte er nicht weiter. Leute kamen von unten den Berg herauf. Mein Großvater war auch dabei. Er nahm mich auf den Rücken und trug mich herunter. Dann brachte er mich ins Krankenhaus.

Ich hatte nicht daran gedacht. Ich wusste nicht, dass dort unter der Erde die Mine war. Ich habe sie nicht gesehen. Wenn ich sie gesehen hätte, wieso hätte ich auf sie treten sollen?

Also, mein Bein, das hier habe ich verloren … und vom anderen Fuß … da fehlt die Ferse.

PMN

Mine PMN
Zeichnung von Sardar