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Tag der Behinderten

Tag der Behinderten

Wesentlich beunruhigender als die fehlenden Informationen aus der weiten Welt ist die Unsicherheit über die eigene Situation. Da es keine genauen Informationen zur aktuellen Situation in Angola oder Luena gibt sind wir vollständig abhängig von "Zahlen", und Gerüchten. Sergio Monteiro, der das Welternährungsprogramm in Luena organisiert, sagte mir: "Es gibt keinerlei korrekten Zahlen. Vergiss einfach die Zahlen!" Zahlen erhält man von OCHA (Organisation for Coordination of Humanitarian Affairs), WFP (World Food Program), MSF (Medicins Sans Frontières) und so weiter. Diese Zahlen machen einem das Leben und die Arbeit besser verständlich und darüber hinaus erträglicher.

Zahl der Flüchtlinge und Deportierten: täglich 100 mehr. Allein im November 2001 über 4.000. Anzahl der Waisenkinder, um die sich die Ärzte ohne Grenzen in Luena kümmern: 1.274. Anzahl der Menschen, die vom Welternährungsprogramm versorgt werden: 32.000 plus 4.500 die im Programm "Food for Work" arbeiten. Neben diesen relativ genauen Zahlen gibt es Schätzungen, die jeder aufgrund seiner eigenen Erfahrungen, Eindrücke und Phantasie macht.

Nehmen wir zum Beispiel den Tag des Behinderten am 3. Dezember 2001. Eine Demonstration der Versehrten, der Kranken und der Kriegsopfer auch hier in Luena. Überall sind Amputierte zu sehen. Auf Krücken, mit Prothesen, in Rollstühlen. Dazu kommen die vielen Polioopfer, hauptsächlich Kinder, mit gelähmten Beinen. Ebenfalls auf Krücken oder in Rollstühlen unterwegs oder aber einfach wie Krabben auf der Straße zwischen den anderen umherkrabbelnd, auf ihren Knien und Händen. Insgesamt handelt es sich an diesem Tag um schätzungsweise 150 bis 350 oder möglicherweise noch mehr Demonstranten.

Der Zug der Versehrten läuft durch Luena. Viele von ihnen fordern geradezu verzweifelt eins von den 200 T-Shirts, auf denen die Sponsoren MAG (Mines Advisory Group), VVAF (Vietnam Veterans of America Foundation), CAPDC, dem JRS (Jesuit Refugee Service) sowie NPA (Norwegian People's Aid) werben.

Die Leute singen und skandieren: "Nieder mit den Minen!" Nachdem man sich auf dem Dorfplatz versammelt hat, gibt es zuerst eine Tanzperformance von sechs, sehr hübschen Mädchen, die zu Trommelmusik tanzen. Aber all ihre Schönheit, ihre muskulösen Körper und die Anmut, mit der sie tanzen kann nicht mit der Vorführung einer älteren Frau wetteifern, die einfach vor sie tritt und zu tanzen beginnt. Ihr linkes Bein ist amputiert. Erst tanzt sie im Stehen, stützt sich dabei auf ihre Krücken. Aber schon kurze Zeit später, nachdem die Zuschauer auf sie aufmerksam geworden sind, und die Videokamera des angolanischen Fernsehens sich auf sie richtet, lässt sie sich auf den Boden fallen, um dort weiterzuzucken und zu tanzen.

Später gibt es mehrere sportliche Wettkämpfe: Es beginnt mit dem Kurzsprint der einseitig Beinamputierten. Frauen und Männer, jeder gegen jeden. Besonders erwähnenswert eine Frau in grünem Kleid, die erst im letzten Moment an den Start tritt. Um schneller zu sein, zieht sie ihren Schuh aus.

Danach gibt es ein Rennen der Rollstuhlfahrer. Anders als die uns vertrauten Rollstühle, sehen sie aus wie ein Dreirad und werden über eine Handkurbel angetrieben. Sie sind alle rot lackiert und meist in einem sehr schlechten Zustand. Oft ist das Vorderrad gebrochen oder verbogen und wird durch ein wenig Draht und Klebeband zusammengehalten. Tatsächlich will einer der Rollstuhlfahrer nicht an dem Rennen teilnehmen, da ihm dabei das Fahrzeug beschädigt werden könne.

Der dritte Wettkampf ist seltsam: Es treten drei Teilnehmer zu einem Rennen an. Drtei Runden um den Platz vor der Stadthalle, insgesamt etwa ein Kilometer. Eine Frau und zwei Männer. Beiden Männer ist ein Arm amputiert worden. Die Frau scheint unversehrt. Arme und Beine sind vorhanden. Egal – sie haben viel Spaß. Einer der Männer fällt in der letzten Runde und kann sich danach kaum noch halten vor Lachen, läuft aber weiter, unterstützt vom Publikum. Die Frau wird Zweite und man feiert sie für ihren eleganten Laufstil.

Die letzte Disziplin ist besonders für das Publikum ungemein gefährlich: Speerwerfen. Die Zuschauer stehen einfach um die Athleten herum und am Rande der Bahn, entlang derer die Speere geworfen wurden. Dreimal wird einer von ihnen nur knapp verfehlt. Erster Platz: 23 Meter.